Zur Losung vom 02. Juli 2023: Psalm 119,64
Psalm 119,64: "Herr, die Erde ist voll deiner Güte. Lehre mich deine Gebote!"
Matthäus 7,12: "Alles, was ihr wollt, daß euch die Leute tun, das tut ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und
die Propheten."
Die Goldene Regel
Das hat Jesus wohl bei Immanuel Kant gelesen. Allerdings ist Jesus bei seinem Blick auf die Menschen
längst nicht so naiv wie Kant. Während Kant mit seinem Kategorischen Imperativ vom Humanismus
herkommt und auf den Idealismus hin will, rechnet Jesus nicht mit dem Guten im Menschen, an das
er appellieren könnte, sondern er nimmt den Menschen in die Pflicht der Rechenschaft vor Gott. Und
während Kant eine Prinzipien-Ethik fordert, will Jesus Verhaltensweisen, die den anderen Menschen
in den Blick nehmen.
Weil Jesus weiß, dass wir Egoisten sind, fängt er genau da an: Was wünschst du dir für dich? – Tu
genau das auch den anderen! In dieser speziellen Hinsicht bestehen „das Gesetz und die Propheten“
eben darin, beides zusammenzuführen. Als natürlichem Menschen ist mir nämlich das Drehen um
mich selbst genug. Deswegen redet Gott mir darein, gibt mir seine Ordnungen und lehrt mich, mit
seinen Augen zu sehen.
Kants „der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“ reichen als Beweise für Gott
leider zu gar nichts, da sie mich aus meiner Selbstdrehung nicht rausholen. Ich brauche die
Ausrichtung auf Gott in meiner ganzen Ohnmacht, aber eben mit der Bitte: „Lehre mich deine
Gebote!“.
Auch in der Frage nach meiner Motivation erwartet Gottes Wort von mir nichts, was ich nicht leisten
kann. Ich muss weder ein großer Menschenfreund sein, noch muss ich an der Bewegung eines idealen
Weltgeistes teilnehmen. Ich darf wahrnehmen, wie sehr Gottes Güte seine Schöpfung erfüllt, und
wieviel ich selbst von dieser Güte nehmen darf. Ich darf also wahrnehmen, wie sehr ich in allem
beschenkt werde, und nehme das zum Anlass, mich diesem Schenker zuzuwenden und daran
teilzunehmen, was ihm wichtig ist. Und darin darf ich mich von ihm lehren lassen.
Wenn Jesus hier sagt: „Das ist das Gesetz und die Propheten“, lässt er den ersten Teil des sog.
Doppel-Gebotes der Liebe unerwähnt, dabei aber sicher nicht außer Acht. Der Apostel Johannes
greift den Zusammenhang dieses Doppel-Gebotes in seinem ersten Brief auf, wenn er der Frage
nachgeht: Wie wird Liebe zu Gott eigentlich konkret? Luther stellt in seinem Katechismus denselben
Bezug her, wenn er das Halten der Gebote mit der Liebe zu Gott begründet. Wenn Jesus diese sog.
Goldene Regel aufstellt, definiert er also Diakonie als sehr wesentlichen Teil echten Gottesdienstes.