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01.12.2023

Losung Dezember 2023

Lukas 2,30-31: "Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen
Völkern."


Warum hat Luther für das grie. „soter“ eigentlich nicht die Übersetzung „Retter“ gewählt? Das wäre
die Wortbedeutung. Vermutlich war ihm diese Übersetzung zu schwach, weil sie nichts darüber
aussagt, was eigentlich der Gegenstand der Rettung ist.
„Heiland“, bzw. „Heliand“ war zu Luthers Zeit schon ein inhaltsschwerer Begriff, herkommend aus
bekannten germanischen Traditionen. Bei diesem Begriff ging es nicht einfach um irgendeinen
Retter, sondern um einen Retter, der den Zorn der Götter von den Menschen abwendet. „Held“ geht
auch auf diese Wortwurzel zurück.
Die germanische Religion bestand zu 100% aus Angst vor völlig unberechenbaren Göttern, die
außerdem mittags schon besoffen waren. Und irgendwann würden diese Götter der Menschenwelt
ein Ende machen, und zwar aus purer Lust am Untergang. Die einzige Hoffnung war dieser eine
„starke Held“, eben der „Heliand“, der gegen die Götter zu Felde zieht und sie besiegt, so dass sie

nicht mehr in der Lage wären, ihren Zorn auszutoben. Bei Richard Wagner heißt das „Götter-
Dämmerung“. Mit seiner Übersetzung von Jes 9,5: „Wunder-Rat, Gott-Held, ..., Friede-Fürst“ greift

Luther diese Bedeutung von „Heiland“ ebenfalls auf.
Das Evangelium muß nun diese durch die Sünde pervertierte, von Noah her aber vorhandene
Erwartung natürlich vom Kopf auf die Füße stellen: Nicht ein menschlicher Held kämpft für die
Menschen gegen die Götter. Der menschgewordene „Gott-Held“ kämpft im Namen Gottes für die
Menschen gegen Sünde, Tod und Teufel. Die Erwartung der Vernichtung durch den Zorn Gottes war
und bleibt berechtigt. Aber dieser Heiland erringt seinen Sieg, indem er den Zorn Gottes auf sich
nimmt. Die Angst wird nicht substanzlos – wo Jesus nicht ist, „wird Heulen und Zähneklappern sein“.
Zum Sieg dieses Heilands gehört aber auch, dass er die Gründe für diese Angst, nämlich die Gründe
für den Zorn Gottes wegnimmt.
Das Denken: „Wir müssen uns nur selbst zu Gott machen, dann können wir uns selbst retten“ ist uns
Germanen leider erhalten geblieben. Müsste uns aber nicht jeder Blick in die Gegenwart dazu
bringen, ein bekanntes Zitat von Dorothee Sölle richtigzustellen und zu sagen: „An einen Menschen

nach Auschwitz kann ich nicht mehr glauben“? Müssten wir hier nicht von einer „Menschen-
Dämmerung“ sprechen und dieser den Heiland entgegenhalten?

Der 1. Weltkrieg war v.a. deswegen so ein Schock, weil man vorher schon jahrzehntelang von einer
stetigen Höherentwicklung der Menschheit und der Geschichte geschwafelt hatte. Diesen rosaroten
Geschichts-Optimismus vertritt wohl heute niemand mehr, und seit den 80er Jahren sind ja auch die
altgermanischen Untergangsängste wieder da. Leider haben bisher weder amerikanische
Präsidenten, noch schwedische Schülerinnen den allgemeinen Heilands-Erwartungen entsprochen.
Vielleicht müsste der echte Heiland zuerst für eine „Götzen-Dämmerung“ sorgen, damit der Blick auf

ihn wieder zum Bekenntnis des Simeon führt.